Website von Nicolas Basse M.A.
#IngeDeutschkron100: Ludwigkirchstraße 6, Berlin-Wilmersdorf. Ella und Inge Deutschkron bezogen hier gemeinsam ein möbliertes Zimmer - und dies sollte ihre letzte Bleibe in Berlin sein, bevor sie inmitten der so blutigen Schlacht um die damalige Reichshauptstadt erneut flohen.
Der Weg der beiden Frauen hatte zuvor in das brandenburgische Lübbenau (im Spreewald) geführt: Sie mischten sich hier (weiterhin getarnt mit dem Familiennamen ‚Richter‘) unter die immer zahlreicher werdenden Flüchtlinge, die dem Vormarsch der Roten Armee zu entkommen versuchten.
Die Hoffnung von Ella und Inge Deutschkron, die sich als aus Guben (in der brandenburgischen Niederlausitz) stammend ausgaben: Die Registrierung als Flüchtlinge in Berlin sollte die Aufnahme in einer neuen Unterkunft ermöglichen - und der Plan ging im Stadtteil Wilmersdorf auf.
„Ich trug den gelben Stern“, Kapitel „Flüchtlinge aus Guben“, Textauszug: „‚Ludwigkirchstraße 6, möbliertes Zimmer im vierten Stock für zwei Personen, bei Hellweg‘, lasen wir. Es lag günstig, nicht weit von der S-Bahn [...]. Wir gingen hin. Ein Mann öffnete uns, Herr Hellweg, Mitte Vierzig, der Wohnungsinhaber. Es schien mir seltsam, daß er nicht zur Wehrmacht eingezogen war. Er zeigte uns das Zimmer. [...]
‚Sie müssen sich anmelden‘, erinnerte uns Herr Hellweg. [...] Am Abend klopfte ich bei ihm an und legte ihm die ausgefüllten Formulare vor. In dem Augenblick ging wie so oft das Licht aus.
‚Verdammt‘, sagte er und zündete eine Kerze an, ‚jetzt kann ich gar nicht sehen, was ich hier unterschreibe.‘
‚Ich kann ja morgen wiederkommen‘, bot ich an. ‚Ach was‘, meinte er, ‚Juden oder Polen werden Sie schon nicht sein‘, nahm den Federhalter und unterschrieb. Ich hatte kein Wort gesagt. Als er mir das Formular zurückgab, sagte ich nur kurz ‚vielen Dank‘ [...]. Ich kochte vor Wut.“
Ella und Inge Deutschkron flohen am 20. April 1945 wiederum nach Potsdam, da die Schlacht um Berlin immer heftiger tobte. Die Schilderung des Kriegsendes aus ihrem Versteck in Potsdam war beeindruckend.
„Ich trug den gelben Stern“, Kapitel „Bleib übrig“, Textauszug: „Und dann war auf einmal alles still, unheimlich still, unerklärlich still. [...] In der Ferne, dort wo Berlin lag, war der Himmel rot gefärbt. Ich konnte nicht unterscheiden, ob es Feuerschein oder Morgenrot war. [...] Es war Wirklichkeit, worauf wir so lange und sehnsüchtig gewartet hatten: der Krieg war zu Ende. Freuen konnte ich mich nicht mehr.“
Ella und Inge Deutschkron hatten den Naziterror überlebt.
Sie erfuhren am 13. August 1945, dass auch Dr. Martin Deutschkron, ihr Ehemann bzw. ihr Vater, am Leben geblieben war. Die beiden Frauen wanderten im folgenden Jahr aus. Das Wiedersehen der Familie erfolgte im August 1946 in Großbritannien.
Inge Deutschkron wurde Journalistin.
Sie kehrte im Jahr 1955 nach Deutschland zurück, lebte in Bonn und wurde Auslandskorrespondentin der israelischen Zeitung „Maariv“, für die sie u. a. vom „Auschwitz-Prozess“ (1963 - 65) in Frankfurt am Main berichtete.
Sie wanderte dann wiederum im Jahr 1972 nach Israel aus.